Bestandsschutz Pflegegrad

Durch das zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) gelten seit 2017 grundlegende Veränderungen und Verbesserungen im Pflegesystem für Pflegebedürftige, Angehörige sowie Pflegekräfte. Mit dem PSG II wurden Pflegestufen durch Pflegegrade ersetzt. Diejenigen, die zum 31.12.2016 eine Pflegestufe hatten, wurden in einen Pflegegrad übergeleitet. Eine Vorschrift im Gesetz regelt, dass diese sogenannten übergeleiteten Pflegegrade unter bestimmten Voraussetzungen Bestandsschutz genießen.

1. Der Gesetzestext

Der Bestandsschutz (der Begriff Besitzstandsschutz, der in diesem Zusammenhang auch oft benutzt wird, meint übrigens das selbe) für die Pflegegrade ist in § 140 SGB XI geregelt. Dort steht im Absatz 3 folgendes:

„Die Zuordnung zu dem Pflegegrad, in den der Versicherte gemäß Absatz 2 übergeleitet worden ist, bleibt auch bei einer Begutachtung nach dem ab dem 1. Januar 2017 geltenden Recht erhalten, es sei denn, die Begutachtung führt zu einer Anhebung des Pflegegrades oder zu der Feststellung, dass keine Pflegebedürftigkeit … mehr vorliegt.“

Zu dieser Formulierung gibt es – auch unter Fachleuten – eine offene Diskussion mit leider erheblichen Konsequenzen für die Betroffenen: Einige Stimmen behaupten nämlich, dass (entsprechend der Formulierung) der Bestandsschutz nicht mehr gilt, wenn man erst einmal in einen höheren Pflegegrad eingestuft  wurde.

2. Bestandsschutz Pflegegrad bei Höherstufung

Der Wortlaut des § 140 Abs. 3 sagt, wenn man ihn ganz wörtlich nimmt, genau dieses: Der Pflegegrad bleibt erhalten, es sei denn die Begutachtung führt zu einer Anhebung des Pflegegrades. Das ist in der Tat etwas mißverständlich formuliert, denn es könnte einerseits heißen, dass der Bestandsschutz eine Höherstufung nicht ausschließt, andererseits könnte es aber auch heißen, dass der Bestandsschutz bei Ausstufung oder Höherstufung erlischt.

Beispiel:

Frau Mustermann ist seit 2015 in die Pflegestufe I eingestuft. Zum 1.1.2017 wird sie in Pflegegrad 2 übergeleitet. Bezüglich Pflegegrad 2 besteht also Bestandsschutz. Anfang 2018 wird sie im Rahmen einer turnusmäßigen Überprüfung des Pflegegrades begutachtet. Weil sich ihr Pflegebedarf erhöht hat, wird sie zum 1.1.2018 in den Pflegegrad 3 eingestuft. Nach einer Operation und anschließender Reha geht es Frau Mustermann besser. Sie kann wieder fast alles alleine erledigen. Was würde passieren, wenn eine erneute Begutachtung zu dem Ergebnis käme, dass

a) Pflegegrad 1

b) kein Pflegegrad vorliegt?

Hier streiten sich nun die Geister und einige, auch Fachleute (!), behaupten, entsprechend der Formulierung im Gesetz (Bestandsschutz nur wenn keine Höherstufung oder Ausstufung) würde der Bestandsschutz in beiden Fällen nicht mehr greifen. Im Fall b) weil kein Pflegegrad mehr vorliegt (soweit korrekt) und im Fall a) weil ja vorher eine Höherstufung stattgefunden hat und dadurch der Bestandsschutz erloschen ist.

NEIN! Das stimmt natürlich nicht. Der Bestandsschutz bleibt solange bestehen, solange Pflegebedürftigkeit, d.h. Zugehörigkeit zu mindestens Pflegegrad 1 besteht. Im Fall a) behält Frau Mustermann daher den Pflegegrad 2, d.h. sie wird vom Pflegegrad 3 auf Pflegegrad 2 zurückgestuft, nicht auf Pflegegrad 1. Im Fall b) bleibt es jedoch dabei: Sie ist nicht mehr pflegebedürftig, daher genießt sie auch keinen Bestandsschutz mehr.

Die missverständliche Formulierung im Gesetz „es sei denn, die Begutachtung führt zu einer Anhebung des Pflegegrades“ ist lediglich eine Klarstellung, dass der Bestandsschutz natürlich eine Anhebung des Pflegegrades nicht ausschließt. Das heißt, es geht beim Bestandsschutz lediglich darum, eine Schlechterstellung zu verhindern, nicht jedoch höhere Leistungen aus einem höheren Pflegegrad.

3. Noch einmal zusammengefasst:

  • Ist jemand vor dem 1.1.2017 in eine Pflegestufe eingestuft und wurde in einen Pflegegrad übergeleitet, so gilt der Bestandsschutz für diesen Pflegegrad, solange die Pflegebedürftigkeit nicht komplett wegfällt.
  • Bestandsschutz heißt nicht, dass bei Verschlechterung der Pflegebedürftigkeit nicht in einen höheren Pflegegrad eingestuft werden kann (nur diese Klarstellung meint der mißverständliche Halbsatz im Gesetz).
  • Auch nach einer Höherstufung bleibt der Bestandsschutz für den ursprünglich nach der Überleitung bestehenden Pflegegrad bestehen.
  • Es besteht also kein Risiko, bei einem Pflegegrad, für den Bestandsschutz besteht, eine Höherstufung zu beantragen! Der Bestandsschutz erlischt in diesem Fall nicht!

Der Bestandsschutz bleibt natürlich auch bei einem Kassenwechsel bzw. einem Wechsel von einer Pflegekasse zu einer privaten Versicherung und umgekehrt, bestehen.

4. Bestätigung des Bundesministeriums für Gesundheit

In verschiedenen Foren und Selbsthilfegruppen im Internet kommt diese Diskussion zum Bestandsschutz bei Höherstufung immer wieder auf. Die Anhänger der „Pflegegrad erlischt bei Höherstufung“-Theorie berufen sich dann immer wieder auf Publikationen im Internet, die diese Meinung ebenfalls vertreten. Meine Argumentation (und die vieler anderer engagierter Mitstreiter), dass das nicht richtig ist, vom Gesetzgeber keinesfalls so gemeint und gewollt gewesen sein kann, weil es unlogisch und ungerecht wäre, steht dagegen und dringt dann oftmals nicht durch. Aussage gegen Aussage sozusagen. Das geht sogar soweit, dass der Link zu einem YouTube-Video des Vortrags einer Fachanwältin für Sozialrecht  vor Mukoviszidose-Patienten verbreitet wird. In diesem Video warnt die Fachanwältin eindringlich davor,  trotz Verschlechterung der Pflegebedürftigkeit eine Höherstufung zu beantragen, weil sonst der Bestandsschutz erlöschen könnte. Und wenn eine Fachanwältin für Sozialrecht das sagt, dann wird das sicherlich richtig sein. Das sorgt für Verunsicherung. Und schlimmstenfalls dafür, dass aus Angst, den Bestandsschutz zu verlieren, jemand dem ihm zustehenden höheren Pflegegrad nicht beantragt.

Das konnte und wollte ich nicht so stehen lassen und habe mich deshalb an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gewandt.  Mit der Bitte um Klarstellung. Und weil auch das wieder einfach nur als „Behauptung“ abgestempelt werden könnte (da kann ja jeder kommen – die Fachanwältin für Sozialrecht sagt schließlich…. etc.), hänge ich Euch die Antwort als PDF hier an. Bitte verbreitet diese Information bzw. diesen Beitrag weiter, damit niemand aus Angst vor dem Verlust des Bestandsschutzes die ihr oder ihm zustehenden Leistungen nicht beantragt!

Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Das BMG eröffnet die Antwort zwar damit, dass sie aus rechtsstaatlichen Gründen nicht berechtigt sind, über die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften im Einzelfall zu entscheiden. Aber schließlich haben sie das Gesetz gemacht, da sollten sie am besten wissen, wie es gemeint war und wie es – nicht im Einzelfall sondern grundsätzlich – angewendet werden muss. Und sie sehen es genauso: Der Bestandsschutz bleibt auch bei einer Höherstufung bezogen auf den übergeleiteten Pflegegrad bestehen. Lebenslang bzw. bis die Pflegebedürftigkeit ganz erlischt.

Danke!

Antwort BMG Bestandsschutz

20 Kommentare

  1. Hallo, ich habe eine Frage: Unser Sohn (8 Jahre) hatte im November 2016 Pflegestufe 3 und dann seit 1.1.2017 Pflegegrad 4 bekommen. Wenn jetzt eine wiederbegutachtung durch den MDK statt finden würde, dürfte er nicht runtergestuft werden, auch wenn sich seine Einschränkungen verbessert hätten und eventuell nur noch ein Pflegegrad 3 dabei rauskommen würde? Ich verstehe das nicht ganz, warum dürfen die dann nicht runtergestuft werden, welches dem realen Zustand der Pflegeperson entspricht.? Es wird ja nur korrigiert, wie ich es verstanden habe, wenn der Pflegebedarf komplett wegfallen würde, oder eine Höhereinstufung notwendig würde. Ist das richtig? Bitte um eine kurze Info dazu.

    1. Wenn Sie nach altem System Pflegestufe 3 hatten und in PG4 übergeleitet wurden, dürfen Sie jetzt nicht in PG1-3 heruntergestuft werden, sondern genießen Bestandsschutz. Das hat der Gesetzgeber so vorgesehen. Insofern haben Sie das genau richtig verstanden. Der Gesetzgeber wollte so vor Ungerechtigkeiten in der Begutachtung nach neuem System schützen (anderer Maßstab, etc). Im Einzelfall ist das tatsächlich schwer nachzuvollziehen und kann genauso zu „Ungerechtigkeit“ führen. Aber so ist es geregelt.
      Viele Grüße
      Beatrix Mengen

  2. Hallo,
    bei meinem Ehemann soll eine neue Begutachtung in einen höheren Pflegegrad erfolgen. Zur Zeit hat er den Pflegegrad 3. Angestrebt wird wenigstens Pflegegrad 4.
    Was wird in diesem Fall mit dem Bestandsschutz?
    Im Antragsvordruck ist darauf hingewiesen das der Bestandsschutz entfallen könnte.
    Danke im Voraus für die Antwort. Mit freundlichen Grüßen Gudrun Dikomey

      1. Guten Abend, meine Mutter hat nach einen Darmverschluss und zwei stationären Schmerztherapien zu Hause mehr Unterstützung nötig. Ihr geht es psychisch sehr schlecht da auch noch ihr Ehemann dement ist. Meine Mutter hat pflegegrad 2 und wir haben einen Antrag auf eine Höherstufung gestellt. Wir waren entsetzt als die Gutachterin meiner Mutter nur noch zwei Punkte insgesamt bescheinigt hat. Meine Frage ist was sollen wir denn tun, Widerspruch erheben? Es ist wohl so dass der Bestandsschutz greift aber ich habe kein gutes Gefühl dabei weil es auch für sie so aussieht als wenn sie als eine Simulantin wäre. Ich danke Ihnen im voraus für eine Antwort.

        1. Das tut mir leid, dass das mit der Höherstufung so ausgegangen ist. Helfen kann ich Ihnen leider nicht. Suchen Sie doch nach einem Pflegestützpunkt in Ihrer Nähe, die können ihnen da weiterhelfen.

  3. Hallo,

    meine Tochter wurde zum 1.1.2017 in den Pflegegrad 4 übergeleitet. Vor kurzem hat eine Wiederbegutachtung durch den MDK stattgefunden. Nun heißt es in dem Gutachten, meine Tochter würde nunmehr den Pflegegrad 2 aufweisen. Aufgrund des Bestandsschutzes würde man uns aber weiterhin Pflegeleistungen im Umfang des Pflegegrades 4 ausbezahlen. Soll ich gegen das Gutachten protestieren oder kann ich es getrost dabei belassen? Ich bin der Meinung, dass das Gutachten einige Punkte nicht richtig wiedergibt. Meine Tochter wird ihr Leben lang aber ein Pflegefall bleiben. Besteht denn überhaupt das Risiko, dass der lebenslange Bestandsschutz irgendwann aufgehoben wird? Kann es mir irgendwann ein Nachteil bringen, dass meine Tochter in den Plegegrad 2 heruntergestuft wurde?
    LG

    1. Hallo María,
      ob das einen Nachteil bringt und ob der lebenslange Bestandsschutz irgendwann aufgehoben wird, kann ich nicht und wahrscheinlich niemand sicher sagen. Daher kann ich Dir hier auch keinen schlauen Tipp geben. Ich würde es wahrscheinlich dabei belassen wenn ich in Deiner Situation wäre.

      1. Hallo, unser Sohn ( 18 J.) hat seit 2007 Pflegestufe 3 und bei der Umstellung Pflegegrad 5 bekommen.
        Er hat durch Hirnschädigungen Epilepsie , wurde auch schon operiert , und mehrere kleine Baustellen wie geistige Behinderung , autistische Züge .

        Er ist wirklich auf rundum Hilfe angewiesen bzw. braucht immer einen Ansprechpartner, feste Rituale und Begleitung abgewiesen. Er kann nicht alleine bleiben.

        Nun meldete sich der MDK und möchte eine Neubegutachtung machen im Bestandschutz. Mir ist bewusst ,dass der PG uns nicht genommen werden kann , auch in Absprache mit der Krankenkasse , aber ich würde diesen Termin einfach gerne umgehen. Wir hatten ein sehr anstrengendes Jahr , mussten Ärztewechsel, Krankenhauswechsel, Betreuungsgericht und Gutachten usw. hinter uns bringen . Corona war für ihn auch der Obergau, monatelang keine Therapien und zuhause bleiben . Unser Sohn – Autist- hat das alles nicht so weggesteckt , er steigert sich sehr in Termine mit fremden rein.

        Gibt es eine Möglichkeit diesen Termin zu umgehen. Ich habe den MDK alle aktuellen Unterlagen geschickt, auch das neutrale Gerichtsgutachten. Es ist voll ersichtlich das er nie genesen wird . Natürlich hat er Fortschritte gemacht, aber der Unterschied zu gesunden 18 jährigen wird natürlich auch immer mehr . Ich gehe aktuell von PG 3-4 aus. Allerdings werden seine Medikamente beispielsweise dieses Jahr umgestellt und so wird der Pflege Aufwand wieder größer .

        Es fühlt sich etwas wie Schikane gerade an.
        Soviele Menschen warten auch Termine und hier wird unnötig geschaut .

  4. Hallo
    ich finde es toll, wie Sie sich für das Thema einsetzen! Bis vor einiger Zeit konnte man nur sehr wenig darüber im Internet finden.
    Meine Frage an Sie – für Kinder besteht generell der Bestandsschutz genau so, wie für Erwachsene mit Pflegegrad, oder? Natürlich mit den Voraussetzungen für einen Bestandschutz…
    Viele Grüße N. Mayr

  5. Hallo,
    ab 01/22 gilt die Reduzierung der pflegebedingten Eigenanteile gestaffelt nach Aufenthaltsdauer im Heim. Nun habe ich der neuen Januarrechnung entnommen, dass offenbar der bisherige Bestandsschutz nach § 141 PG 3 in die neue Reduzierung eingerechnet wird, die neue Reduzierung also nicht zusätzlich erfolgt.
    Ist Ihnen bekannt ob die neue Reduzierung gem. Aufenthalt unter den gleichen Paragrafen fällt und somit der bisherige Bestandsschutz auf die Reduzierung angerechnet werden darf?
    Vielen Dank und beste Grüße

  6. Guten Abend. Ich habe eine Frage bezüglich der Herabsetzung des Pflegegrades von 3 auf 2. Der MDK hat dies bei meinem Sohn gemacht seitdem streite ich mit der Kasse,wir waren 2016 in einer Pflegestufe. Die Kasse hat das Pflegegeld sofort gekürzt, jetzt lese ich aber das dies gar nicht hätte sein dürfen auf Grund des Bestandschutzes.Wie ist das denn jetzt ich Blicke da nicht durch.

    1. Der Bestandsschutz bezieht sich auf den Pflegegrad, in den übergeleitet wurde. Wenn Ihr Sohn mit der Überleitung 2016/2017 schon PG 3 hatte, dann hat er für PG 3 Bestandsschutz. Wenn er damals nur zB PG 2 hatte und später erst in PG 3 höhergestuft wurde, kann jetzt auch wieder auf PG2 heruntergestuft werden.

  7. Mein Sohn hat, seit 2003, Pflegegrad 3. Jetzt erfolgte eine Begutachtung, demnach er plötzlich geheilt ist und er keinen Pflegegrad mehr hat. Ist es richtig das die Leistungen da sofort eingestellt werden dürfen?

  8. Hallo, mein Sohn hat Pflegegrad fünf bzw. hatte vorher seit 2006 Pflegestufe 3.
    Er ist im August 18 geworden und hat in den letzten Jahren auch einiges gelernt, allerdings ist er ein Leben lang auf Hilfe und Betreuung angewiesen, wir sind jetzt auch die gesetzlichen Betreuer . Das Jahr war sehr anstrengend für ihn und er ist sehr gestresst gerade ( Autismus und Epilepsie) . Mir wurde gesagt, dass wir nur im Falle einer Heilung vom Pflegegrad fünf gestrichen werden würden . Nun meldete sich der MDK zur Begutachtung . Ich habe alle Unterlagen der letzten zwei Jahre plus das Betreuungsgutachten geschickt und trotzdem einen Termin bekommen . Diesen können wir aber nicht wahrnehmen. Die nette Dame am Telefon sagte mir, die nächsten Termine wären erst in zehn Wochen , aber eigentlich brauchen wir doch gar keinen .

    Gibt es die Möglichkeit durch einen Widerspruch diesen Termin zu umgehen ?

  9. Hallo, ich wurde von Pflegestufe 2 automatisch durch die Pflegereform auf Pflegegrad 3 eingestuft.
    Jetzt soll ich in Reha und habe Bedenken, daß ich deshalb im Anschluss der Reha neu begutachtet werde, auf Grund des Abschlussberichts.

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